Woher kommt der Hermann-Teig?
Der erste Freund meiner ältesten Schwester hieß Hermann. Es hatte allerdings was anderes auf sich, als Ende der 80er Jahre etwas mit diesem Namen in unsere Küche Einzug hielt. Zunächst war es geheimnisvoll und mit einem Brief verbunden, der eine Anleitung enthielt, wie mit dem seltsamen Gast umzugehen sei. Doch gewann ich Klarheit. Hermann war ein Teigansatz, der als Basis für allerlei Kuchen verwendet wurde. Später in den 00er Jahren ist er mir in einer befreundeten Wohngemeinschaft wieder begegnet. Auch hier wurde er regelmäßig zu leckerem Kuchen verarbeitet. Es artete hier aber manchmal in richtigen Stress aus, den Teig zur richtigen Zeit angemessen zu verarbeiten.
Ich selbst weiß nicht mehr, wie Hermann oder vielmehr, die aus ihm gewonnenen Teigwaren, geschmeckt haben. Zudem quälen mich vielerlei Fragen. Was ist Hermann? Woher kommt er? Warum wird in den meisten Backrezepten zusätzlich noch ein weiteres Triebmittel wie Backpulver hinzugegeben? Diesen Fragen soll hier und in weiteren Artikeln auf den Grund gegangen werden. Außerdem werde ich selbstverständlich die Herstellung und Weiterverarbeitung des Teigansatzes in verschiedenen Varianten erproben und darüber berichten.
Siegfried ist eine herzhafte Variante
Neben dem „süßen“ Hermann existiert auch eine „herzhafte“ und jüngere Variante in den heimischen Küchen und zwar „Siegfried“. Ebenso sind Teigansätze mit den Namen „Robert“ und „Werner“ im Umlauf. Am bekanntesten ist jedoch Hermann. Dessen Ursprung ist schwer auf den Grund zu gehen. Schriftlich ist kaum etwas überliefert. Es existiert ein gedrucktes Backbuch, das sich ausschließlich der Herstellung des Grundteiges der beiden Teigansätze sowie diversen Backrezepten widmet, aber kein Wort über dessen Herkunft verliert. Es kursieren verschiedene Book-on-Demand-Publikationen, die aber auch nur rudimentär auf die Geschichte des Teigansatzes zu sprechen kommen.
Zurück zu den Ursprüngen
Pöt Stoldt widmet Hermann und seinen Freunden in seinem Buch „Der Sauerteig – das unbekannte Wesen“ ebenfalls ein paar Seiten. Und so handelt es sich bei Hermann tatsächlich um einen süßen Sauerteig auf Weizenmehl-Basis. Wie andere Sauerteige ist er ein komplexes Gebilde aus verschiedenen Mikroorganismen, die aufeinander einwirken und die unterschiedliche Funktionen während des Fermentierungsprozesses einnehmen. Bei den drei wichtigsten Gruppen handelt es sich hier um Milchsäurebakterien, Essigsäurebakterien und Sauerteighefen. Im gleichen Buch verweist Pöt Stoldt auch darauf, dass der Sauerteig im letzten Jahrhundert zuerst aus einer Not heraus und später aus Bequemlichkeit so nach und nach immer weniger von Bäckern und in Privathaushalten Verwendung gefunden hat. Erst in den 80er Jahren änderte sich das wieder, aufgrund einer Umorientierung hin zu einer gesünderen Ernährung. Diese Annahme könnte auch das Aufkommen von Hermann erklären, der ungefähr in den 70er und 80er Jahren in die Privathaushalte einzog. Genau lässt sich das nicht sagen.
Eine bekannte Variante ist das Vatikanbrot
Auf Wikipedia wird ein Bezug zur deutschen Friedens- und Ökologiebewegung hergestellt. Ebenso findet sich hier der Hinweis auf weitere Namen wie „Vatikanbrot“, „Glücksbrot“ oder auch „Glückskuchen“ unter denen der Teigansatz mit verschiedenen Briefen im Umlauf ist. Eine sehr bekannte Variante ist das Vatikanbrot, das Glück bringen soll, jedoch von jedem nur einmal im Leben gebacken werden darf und dessen Teigansatz ursprünglich aus dem Vatikan stammen soll. In Amerika ist eine weitere Variante des Teigansatzes unter der Bezeichnung „Amish Friendship Bread“ verbreitet. Ein direkter Bezug zu den Amish People lässt sich in der Rezeptur jedoch nicht nachweisen. Das eigentliche Amish Friendship Bread ist nämlich ein einfaches Sauerteigbrot, das an Arme und Kranke weitergegeben wird.
Digitale Verbreitung
Ein Blick auf die Geschichte von Hermann, Siegfried und auch Robert ist also gar nicht so einfach. Hier spielt tatsächlich die mündliche Überlieferung und die Beigabe der Briefe eine entscheidende Rolle. Dies zeigt sich auch an den diversen Book-on-Demand-Veröffentlichungen, die aus privater Hand kommen. Das Internet nimmt hier ebenfalls eine wichtige Funktion ein. Denn es existieren mittlerweile neben ein paar Online-Artikeln renommierter Medien eine Menge Blogs, die sich dem Züchten und Backen von Hermann widmen. Unter anderem wurde auch eine Blogparade veranstaltet mit der eine digital organisierte Weitergabe des Teigansatzes einherging. Die Digitalisierung hat hier neue Möglichkeiten eröffnet. Sofern ich auf weitere Informationen zu der Herkunft jungen Sauerteigkultur stoße, werde ich diesen Artikel entsprechend ergänzen.
Ein einfach zu handhabender Sauerteig
Es handelt sich also bei dem beliebten Teigansatz um eine einfach zu handhabende Sauerteigform, quasi für den oder die Anfänger/in. Denn der klassische Sauerteig wird einer Sauerteigführung unterzogen und bedarf daher keines weiteren Backtriebmittels in der Teigkultur und der späteren Backmischung. Ob dies, wie in vielen Rezepten angegeben, tatsächlich nötig ist, soll hier noch herausgefunden werden. Wie dem auch sei, das Besondere ist und bleibt das soziale Moment, das durch das stetige Teilen und Weitergeben der Sauerteigkultur zustande kommt.
Bildquellen
- Hermann und Siegfried: Bildrechte beim Autor
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