Ein Gespräch über koreanische Kultur, Einwanderung und fermentierten Chinakohl
Kimchi ist Teil des Weltkulturerbes und das koreanische Nationalgericht schlechthin. Der fermentierte Chinakohl ist seit einiger Zeit auch in Deutschland in aller Munde. Doch was bedeutet es, mit Kimchi in Deutschland groß zu werden? An einem regnerischen Tag im Januar habe ich mich auf den Weg nach Altenbochum gemacht, um mich mit Sun-Mi Jung zu treffen, die mich zu sich nach Hause eingeladen hat. Dort durfte ich ihr nicht nur zu sehen, wie sie Kimchi zubereitet, ich durfte sie auch nach Lust und Laune ausfragen.
Herausgekommen ist ein spannendes Gespräch über Kimchi und die Welt. Sun-Mi ist in Deutschland als Kind koreanischer Einwanderer groß geworden. Daher haben wir nicht nur über den Stellenwert, den Kimchi für sie und für ihre Eltern einnimmt, sondern auch über Einwanderung, die Besonderheiten der koreanischen Esskultur sowie den kulturellen Wandeln in Deutschland und Korea gesprochen.
Die Zutaten stehen schon bereit
Als ich die Wohnung betrete hat Sun-Mi schon den Chinakohl, der über Nacht in Salzwasser gewässert wurde, sowie die restlichen Zutaten bereitgestellt. Nach einem kurzen Kaffee-Intermezzo macht sie sich ans Werk, Möhren, Lauchzwiebeln, Knoblauch, Ingwer und einen Apfel zu zerkleinern. Während Sun-Mi das Gemüse schnippelt, erfahre ich, dass es in der koreanischen Küche eigentlich keine Unterschiede zwischen den verschiedenen Mahlzeiten gibt und zu jeder Tageszeit Reis sowie diverse Beilagen und Suppe gereicht werden.
Eine dieser Beilagen ist Kimchi, das daher auch in ihrer Familie jeden Tag mehrmals auf dem Speiseplan steht. Ihre Eltern haben sich jedoch mit der Zeit der westlichen Ernährung ein Stück weit angepasst: „Meine Eltern haben morgens nie koreanisch gefrühstückt. Wir hatten eigentlich immer westliches Frühstück,“ erinnert sie sich.
In der westlichen Küche gibt es nichts Vergleichbares
Die Eltern von Sun-Mi haben sogar einen eigenen Kimchi-Kühlschrank. Mich interessiert, ob Kimchi kühl gegessen wird, denn schließlich wird es ja nach der ersten Fermentierung im Kühlschrank aufbewahrt. „In der Regel wird es kalt gegessen. Meine Eltern denken gar nicht darüber nach. Man muss sich das nicht so pompös vorstellen. Das ist so, wie wenn du abends Brot aufschneidest und Wurst dazu isst.“
Denn Kimchi ist in der koreanischen Küche nichts Besonderes, es ist eine Selbstverständlichkeit. „Kimchi gab es bei uns eigentlich immer. Also war es für mich nie etwas Exotisches. Es war einfach da.“ Während wir uns unterhalten fällt uns auf: So alltäglich der Genuss von Kimchi in der koreanischen Küche ist, so schwer ist es, etwas Vergleichbares in der westlichen Küche zu finden. Sauerkraut hat zwar eine gewisse Ähnlichkeit, ist aber nie so in den deutschen Speiseplan integriert gewesen, wie Kimchi in den koreanischen. „Es wäre so, als würden wir hier jeden Tag Sauerkraut essen, egal was wir essen,“ meint Sun-Mi. Da muss ich lachend zugeben, dass es bei mir aufgrund meines Faibles für die Fermentation mittlerweile fast schon so weit gekommen ist.
Die Schärfe hat jede*r selbst in der Hand
Als Jugendliche, erzählt Sun-Mi, habe sie immer darauf geachtet, Kimchi wegen des Knoblauchgeruchs vornehmlich am Wochenende zu essen. Diesmal kommt jedoch eine ordentlich Portion Knoblauch in das Kimchi. „Das muss heute sein“, merkt sie an. Mich stört das nicht, denn ich bin an große Mengen Knoblauch gewohnt, doch habe ich manchmal Probleme mit der Schärfe.
Sun-Mi erinnert sich, dass ihre Mutter, als sie ein Kind war, stets ein Schälchen mit Wasser auf dem Tisch stehen hatte, um das Kimchi für die Kinder auszuwaschen. So konnte sie sich an die Schärfe gewöhnen. Oft sei es auch vorgekommen, dass sie von koreanischen Freunden Kimchi geschenkt bekamen, das schärfer als gewohnt war. Auch hier kam das Schälchen Wasser zum Einsatz. Sun-Mi meint zudem: „Du hast die Schärfe bei der Zubereitung selbst in der Hand. Davon abgesehen ist klar, wenn du Kimchi einfach so nur ohne Beilagen isst, ist das natürlich scharf. Aber so ist es ja auch gar nicht gedacht.“
Während Sun-Mi den Apfel, den Knoblauch sowie den Ingwer mit einem Pürierstab zu einer Paste verarbeitet, erfahre ich, dass es manchmal gar nicht so einfach ist, eine deutschsprachige Bezeichnung für bestimmte koreanische Lebensmittel zu finden. Ein Problem sei zudem, dass in vielen asiatischen Läden darüber hinaus unterschiedliche Bezeichnungen verwendet werden.
Eine der wichtigsten Zutaten ist das koreanische Chilipulver
Für das koreanische Chilipulver Kochugaru, eine der wichtigsten Zutaten von Kimchi, gibt es beispielsweise kein deutschsprachiges Wort. In Deutschland ist das Pulver zudem meist nur in asiatischen Lebensmittelläden und in Großpackungen zu bekommen. Sun-Mi verrät mir, dass sie aufgrund der großen Menge das Pulver immer einfriert, um es vor dem Verderben zu schützen. Für sie steht fest zudem: „Aus meiner Perspektive ist das Chilipulver das Einzige, bei dem ich intolerant bin, wenn es um Kimchi geht. Man kann ruhig experimentieren, Möhren rauslassen, dafür Rettich reintun oder weniger Ingwer und Knoblauch verwenden – da bin ich relativ tolerant. Aber nicht beim Chilipulver“, da müsse es das echte koreanische Pulver sein.
Sun-Mi vermischt den Chinakohl mit der angefertigten Paste und den restlichen Zutaten. Vorsichtig hebt sie nun auch das Chilipulver unter, welches der Mischung einen kräftigen Rotton verleiht. Zwar hat das Kimchi noch nicht den charakteristischen säuerlichen Geruch, doch duftet es schon sehr aromatisch. Wir sprechen darüber, dass die Fermentation eigentlich schon startet, wenn der Chinakohl nachts in Salzwasser eingelegt wird. Sun-Mi probiert kurz und stellt fest: „Da kann noch Chilipulver rein.“ Schließlich ist sie zufrieden. „Jetzt möchte ich einmal gerne mit dir zusammen probieren. Von wegen, was muss da noch rein und ist es gut genug vermengt.“ Ich bekomme etwas Kimchi auf einen Löffel und siehe da, es schmeckt schon sehr lecker. Auch Sun-Mi ist zufrieden und so beginnt sie vorsichtig damit, das Kimchi mit einem Holzlöffel Schicht für Schicht in die bereitgestellten Gläser zu füllen.
Flugzeuge, Oma und Carepakte
Wir kommen darauf zu sprechen, wie sich ihre Eltern mit koreanischen Lebensmitteln versorgt haben, als sie in den siebziger Jahren nach Deutschland gekommen sind. „Zu dieser Zeit gab es noch keine koreanischen Läden im Ruhrgebiet. Aber es gab Flugzeuge, Oma und Carepakte“, schmunzelt Sun-Mi. „Ich kann mich erinnern, das ist noch gar nicht so schrecklich lange her, da ist die ganze Familie nach Korea geflogen. Wir hatten schon auf dem Hinweg Übergepäck, weil die Verwandtschaft ja deutsche Geschenke brauchte. Auf dem Rückweg genauso, da hatten wir einen Stapel getrocknete Tintenfische dabei. Die sind riesig und zudem eingeschweißt – sowie diverse Algen und Sesamöl im Gepäck.“
Mittlerweile ist es unkomplizierter, denn die kulinarische Vielfalt hat sich im Ruhrgebiet und auch in Deutschland überhaupt vergrößert. „In den 1980ern war das hier im Ruhrgebiet ganz schwierig. Dreißig Jahre später sieht es schon besser aus.“, führt Sun-Mi aus. Gemeinsam stellen wir fest, nicht nur in der Gastronomie, auch die Vielfalt der Lebensmittelläden hat sich vergrößert. Doch am Beispiel von Sun-Mis Eltern zeigt sich, wie schwer es ist, seine Heimat zu verlassen und in ein Land mit einer vollständig anderen Ess- und Alltagskultur auszuwandern.
Auswanderung und eine moderne Ehe
„Warum“, frage ich, „ sind deine Eltern ausgewandert?“ Sun-Mi erwidert, dass ihre Eltern anlässlich des Anwerbeabkommens zwischen Deutschland und Korea nach Deutschland gekommen seien. „Als meine Eltern in den siebziger Jahren Korea verließen, da war Korea ein Entwicklungsland; ich glaube noch hinter Bangladesch. Das ist gerade mal 40 Jahre her. Aber Korea war damals wirklich eines der ärmsten Länder der Welt. Die hatten eine sehr schlechte Prognose, keiner hat damals geglaubt, dass aus dem Land etwas werden kann. Wer will schon in so einem Land leben. Die Perspektive klang ja ganz schlimm. Heute gehört Korea zu den Top Industrienationen überhaupt und ist eines der reichsten Länder der Welt. Das hat man überhaupt nicht absehen können.“
Aufgrund des Anwerbeabkommens seien beide Elternteile dazu verpflichtet gewesen, Vollzeit zu arbeiten, was auch bedeutete, dass Sun-Mis Mutter nichts anderes übrig blieb, als wenige Monate nach der Geburt der Kinder wieder zügig ins Berufsleben einzusteigen, denn das war so vertraglich festgelegt. Das führte dazu, dass ihre Eltern trotz ihrer traditionellen und strengen konfuzianischer Lebenshaltung zeitweise eine sehr moderne Ehe führten. Beide waren voll berufstätig und in Schichtarbeit angestellt, deshalb teilten sie in den siebziger Jahren Erziehung und alltägliche Hausarbeiten unter sich auf. Hilfe bekamen sie erst, als Sun-Mi zwei Jahre alt war, und zwar von der Großmutter, die für einige Jahre nach Deutschland zog.
Die traditionelle Zubereitung von Kimchi erfolgt ganztägig
Wir sitzen am Tisch. Sun-Mi hat eine offene Küche, die direkt an das Wohnzimmer und den Essbereich angegliedert ist. Das fertig gewürzte Kimchi ist abgefüllt und auch für mich stehen zwei Gläser bereit, damit ich es nach der Fermentation zu Hause probieren kann. Ich frage Sun-Mi, wie die Herstellung von Kimchi in koreanischen Familien üblicherweise abläuft. Sun-Mi erzählt mir, dass die traditionelle Zubereitung von Winter-Kimchi, das sogenannte Kimjang, ganztägig erfolgt und in koreanischen Familien von Frauen ausgeführt wird. In Sun-Mis Familie wurde diese Tätigkeit von der Großmutter und später von der Mutter übernommen. Sun-Mi beschreibt: „Normalerweise treffen sich die Frauen aus einer Großfamilie. Daher musst du auch für entsprechend viele Leute produzieren. Das sind ja mehrere Kleinfamilien, die sich als eine Großfamilie treffen und du musst für alle Haushalte genug Kimchi machen. Das dauert dann schon einen ganzen Tag.“
Auch ihre Eltern haben früher größere Mengen Kimchi auf Vorrat hergestellt, erinnert sich Sun-Mi. „Zu Hochzeiten war die ganze Badewanne voll Chinakohl. Du musst ja eine gewisse Menge an Kimchi produzieren, damit es sich überhaupt lohnt und du dir auch wirklich einen Vorrat schaffen kannst. Meine Eltern haben tatsächlich einen Kühlschrank in der Größe einer Tiefkühltruhe zu Hause, das ist der Kimchi-Kühlschrank. Und da ist eigentlich wirklich nur Kimchi drin. Ein Kopf Chinakohl klingt nach viel, das ist aber kaum was. Man kann sich vorstellen, wie viele Köpfe man machen musst, wenn man jeden Tag Kimchi isst.“
Vom Wäschewaschen zu einer kulturellen Identität
Eine Art Übergabe des Familienrezepts an die Tochter habe nicht stattgefunden. Sun-Mi führt aus, dass ihre Mutter in solchen Dingen recht unsentimental sei. Für ihre Eltern sei die Herstellung von Kimchi vielmehr ein notweniges Übel. Die Einstellung ihrer Eltern beschreibt sie so: „Okay, wir möchten Kimchi essen, was machen wir? Wir machen es selber.“ Hier lassen sich deutliche Unterschiede zwischen Sun-Mi und ihrer Mutter feststellen. Die Kimchi-Herstellung ist für ihre Mutter eine Arbeit, wie andere Hausarbeiten auch. Sun-Mi bringt dies mit folgenden Worten auf den Punkt: „Sie betrachtet das Fermentieren nicht anders als die Notwendigkeit, Wäsche zu waschen. Für mich hingegen steckt eine ganze Welt dahinter. Nicht nur kulinarisch, sondern auch kulturell.“
Sun-Mi hat zwar kein Rezept von ihren Eltern mit auf dem Weg bekommen, aber die Geschmacksnerven und ein Stück kulturelle Identität. Daher hat sich Sun-Mi die Zubereitung selbst angeeignet und auch ihre eigene Rezeptur gefunden. „Ich habe angefangen, Kimchi selbst zu machen, als ich wirklich autonom wurde. Bis vor kurzem haben mich meine Eltern komplett mit Kimchi versorgt. Noch bis heute ist es so, dass ich im Kühlschrank immer auch Kimchi von meinen Eltern habe.“
Jede Familie hat ihre eigene Rezeptur
Ich weiß, dass das klassische Winter-Kimchi normalerweise aus halbierten oder geviertelten Kohlteilen besteht, die oft mit einer Paste bestehend aus Reismehl, koreanischem Chilipulver, Ingwer und Knoblauch eingerieben werden. Außerdem werden dem Kimchi oft noch Rettich, Lauchzwiebeln und gesalzene Shrimps oder auch Fischsauce zugefügt. Sun-Mi erzählt mir jedoch, dass jede Familie ihre eigene Rezeptur hat und Kimchi untereinander getauscht wird, wie in Deutschland Marmelade.
Wie Sun-Mi Kimchi herstellt, das habe ich gesehen und auch schon geschmeckt, doch wie machen es ihre Eltern? Die genaue Rezeptur kann mir Sun-Mi nicht verraten, da es schwer sei, mit ihren Eltern in der Küche zusammenzuarbeiten. „Weil du alles falsch machst, alles“, schmunzelt sie. Aber dann geht sie zum Kühlschrank und holt eine große Plastikdose mit dem Kimchi ihrer Eltern hervor. Einige Unterschiede sind sofort sichtbar. Der Chinakohl ist in viel größere Stücke geteilt und es scheint kein weiteres Gemüse wie Lauchzwiebeln oder Möhren untergemischt zu sein. Zudem sind Shrimps enthalten. Sun-Mi erzählt, dass ihre Eltern keine Fischsauce hinzugeben, sondern gesalzene Shrimps bevorzugen. „Du kannst sie kaum mehr als Shrimps erkennen, so stark sind sie zerfleddert.“
Von der Neugier einer Vegetarierin auf echtes Kimchi
Ich bin seit über zwanzig Jahren Vegetarierin, bisher habe ich Kimchi nur in seiner vegetarischen Variante gegessen. Die besondere Note, mit der Kimchi oft in Verbindung gebracht wird, kommt jedoch durch die Fischkomponente. Daher kann ich nicht anders, ich bin einfach zu neugierig auf den Geschmack von „echtem“ Kimchi. Ich frage Sun-Mi, ob ich das Kimchi ihrer Eltern einmal probieren darf. Klar darf ich und ehe ich mich versehe, hat sie schon zwei schöne kleine Porzellanschälchen bestückt. Dazu reicht sie mir die typischen koreanischen Stäbchen aus Metall. Ich frage, welche Kimchi-Sorten ihre Eltern außerdem noch zubereiten, denn es gibt viele verschiedene Sorte. „Neben dem normalen Kimchi machen sie noch Wasser-Kimchi, Gurken-Kimchi, Kimchi aus Rettich und Mul-Kimchi, das ist eine Brühe. Das wird aber nicht getrunken, sondern wie so eine Art Kaltschale gegessen.“
Wieder am Tisch kommen wir auf die verschiedenen Säuerungsgrade von Kimchi zu sprechen. Denn Sun-Mi klärt mich darüber auf, dass das Kimchi auch noch im Kühlschrank weiter fermentiert. Sun-Mi mag Kimchi, wenn es sehr sauer ist. „Wenn es so zwölf, sechzehn oder sogar zwanzig Wochen alt ist, dann ist es richtig sauer. Auch die Konsistenz ist anders, sie ist nicht mehr knackig sondern labberig. Das Kimchi hat sich schon fast aufgelöst und ist gut durchgezogen. Mein Vater hingegen mag es am liebsten in den ersten Wochen, wenn es frisch ist. Wenn das Kimchi schließlich so reif ist, dass ich es gut finde, ist kaum noch was da. Meine Mutter sagt immer: Wenn unser Kimchi zu Neige geht, dann fängst du an, es zu essen. Ja, weil ich es erst dann richtig gerne esse.“
Der Fisch gibt dem Kimchi ein besonderes Aroma
Ich probiere das Kimchi von Sun-Mis Eltern. Sun-Mi ist neugierig und möchte wissen, wie es mir schmeckt und ob ich den Fisch wirklich rausschmecke, denn sie fühlt sich gewissermaßen betriebsblind. Ich beschreibe meine Eindrücke, obwohl das nicht ganz einfach ist. Es schmeckt zunächst einmal wie ich Kimchi kenne, leicht säuerlich und scharf, doch da ist auch noch ein anderer Geschmack, der hervorsticht und tatsächlich den Shrimps zuzuordnen ist.
Dieses besondere Aroma macht aus dem Kimchi etwas ganz Eigenes. Für mich, die schon seit einer geschlagenen Ewigkeit kein Fisch mehr gegessen hat, ist es etwas ungewohnt, doch es schmeckt mir gut. Sun-Mi glaubt, dass dieser Fischgeschmack in ihrer Kindheit und auch in ihrer Jugend viele Leute abgeschreckt hat. Auch ich denke, dass es bestimmt einige Menschen gibt, die darauf mit Vorbehalt reagieren würden. Ich selbst, bin jedoch davon überzeugt, dass es eine Zeit dauert, um sich an Geschmäcker zu gewöhnen. Leider sind viele Menschen oft zu geschmacksfaul, um sich auf etwas Neues einzulassen.
Mich interessiert, warum Sun-Mi ihr Kimchi ohne Shrimps zubereitet. „Das hat praktische Gründe. Es ist einfacher. Die Shrimps müsste ich erst einmal einsalzen. Du hast gesehen, wie einfach mein Rezept ist. Du brauchst Chinakohl, den kriegst du in jedem Supermarkt, ebenso wie alle weiteren Zutaten – bis auf das Chilipulver und das habe ich immer im Kühlschrank. Die Shrimps lasse ich weg, weil es mir zu lästig ist. Zudem habe ich auch vegane bzw. vegetarische Leute in meiner Umgebung. Mit meiner Rezeptur bin ich immer auf der sicheren Seite.“ Das leuchtet mir ein.
Der kulturelle Wandel macht auch vor Südkorea nicht halt
Wir kommen auf den kulturellen Wandel zu sprechen, der auch nicht vor Südkorea haltmacht. So erfahre ich, dass viele Jugendliche gar nicht mehr unbedingt so viel Kimchi essen. Auch sind mittlerweile viele Frauen gut ausgebildet, berufstätigt und emanzipieren sich. „Eigentlich ist Korea immer noch sehr hierarchisch, autoritär und patriarchalisch strukturiert. Das sage ich jetzt völlig wertfrei. Doch man hatte nicht auf dem Schirm, dass wenn man junge intelligente Frauen fördert, sie in die Schule schickt und ausbildet, dass man dieses System nicht aufrechterhalten kann,“ erläutert Sun-Mi.
„Ich habe das Gefühl, die Frauen sind gedanklich schneller als die Männer. Die haben das alles adaptiert und schon längst für sich umgesetzt. Und die Männer sitzen da und denken, was ist denn hier los.“ Daher haben viele Frauen gar keine Zeit mehr. Kimchi selbst herzustellen. Auch in Sun-Mis Familie gibt es Frauen (und natürlich auch Männer), die noch nie selbst Kimchi gemacht haben. Sun-Mi erklärt das so: „Sie sagen, entweder ich bekomme es von der Schwiegermutter oder wir kaufen es im Supermarkt. Und das, obwohl es diesen großen Stellenwert hat. Daran kann man erkennen, dass sich die Dinge verändern.“
Mut zur Veränderung
Auch in Sun-Mis Familie ist der Wandel eingezogen, denn seit einiger Zeit kümmert sich überwiegend ihr Vater um die Zubereitung von Kimchi, da ihre Mutter gesundheitlich eingeschränkt ist. „Er macht das ganz gerne,“ schmunzelt Sun-Mi. Denn Menschen sind in der Lage sich umzuorientieren und vielleicht sind demnächst auch in Korea vermehrt Männer an der Kimchi-Produktion beteiligt. Im Moment gibt es noch ein Aufbegehren gegen die Emanzipation der Frauen, doch auch das kann sich ändern.
Sun-Mis Eltern jedenfalls haben Mut gezeigt, als sie trotz ihrer konservativen konfuzianisch ausgerichteten Lebenshaltung den Schritt nach Deutschland gewagt haben. Überspitzt formuliert können sie aus der koreanischen Tradition heraus gar als Individualisten betrachtet werden. Es sei jedoch nicht geplant gewesen, in Deutschland sesshaft zu werden, bemerkt Sun-Mi, „doch irgendwann kannst du nicht mehr zurück. Die Kinder sind hier gesettelt und du fängst selber an dich hier einzugewöhnen. Zudem habe ich ja schon angedeutet, wie sich Korea in den letzten vierzig Jahren entwickelt hat. Ich glaube nicht, dass meine Eltern dort glücklich wären. Das Korea, dass sie verlassen haben, dass sie kennen, das gibt so gar nicht mehr. Das würde bedeutet, sie würden jetzt wieder auswandern in ein fremdes Land, willst du das mit 75?“
Kultureller Wandel
Wir sind am Ende unseres Gesprächs angekommen, da kommt Sun-Mis Lebensgefährte Andreas durch die Tür. Auch er hat seine Liebe zu Kimchi entdeckt und wurde durch Sun-Mi in die Kultur der koreanischen Spezialität eingeweiht. Mich durchfährt ein Gedanke. Den Menschen, die sich in den sechziger und siebziger Jahren, auf ein fremdes Land, einen unbekannten Kulturkreis eingelassen haben, verdanken wir hier im Ruhrgebiet und in Deutschland ein Stück unserer gegenwärtigen kulturellen Identität. Diese Identität ist stetig im Wandel und das ist auch gut so! Mit den Gläsern Kimchi im Gepäck mache ich mich auf den Weg nach Hause.
Über die Person: Sun-Mi Jung hat an der Ruhr-Universität in Bochum Literaturwissenschaften und Ostasienwissenschaften studiert. Sie ist freie Journalistin und betreibt den Food Blog MissSeoulFood.
Bildquellen
- Sun-Mi-Jung-Gemuese: Bildrechte beim Autor
- Das koreanische Chilipulver Kochugaru: Bildrechte beim Autor
- Gemüse mit Würzpaste: Bildrechte beim Autor
- Chinakohl Chili: Bildrechte beim Autor
- Vorsichtig befüllt Sun-Mi die Gläser: Bildrechte beim Autor
- Das fertig gewürzte Kimchi ist nun abgefüllt: Bildrechte beim Autor
- Kimchi im Plastikgefäß: Bildrechte beim Autor
- Kimchi mit Shrimps: Bildrechte beim Autor
- MissSeoulFood – Sun-Mi Jung: Anke Sundermeier
Hallo Hildegard,
was für ein wunderbarer Bericht. Zumal ich Sun-Mi und ihr Kimchi kenne. Die ganze Zeit über lief mir beim Lesen das Wasser im Mund zusammen und seitdem habe ich ein kleines Stimmchen im Hinterkopf, das mir dauernd einflüstert: “Das wolltest Du doch auch schon immer mal selbst machen …!” 😀
Zauberhafte Grüße
Birgit
Liebe Birgit,
das freut mich riesig, dass dir mein Bericht gefällt. Da macht das Bloggen doch gleich tausendmal mehr Spaß! Wünsche dir ebenso viel Spaß beim ausprobieren. Kimchi selber machen ist wirklich gar nicht so schwer 🙂
Herzliche Grüße
Hildegard
Toller Post, ich war gerade drei Wochen in Südkorea bei meiner Freundin und ich konnte jeden Tag dreimal Kimchi essen. Nach einer Woche ging es mir super super gut
Hallo Stephan,
da bin ich direkt ein wenig neidisch 😉 Nach Südkorea würde ich auch gern einmal reisen. Aber zum Glück kann ich Kimchi auch hier essen 😀
Herzliche Grüße
Hildegard